Anekdoten ohne Relevanz

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Die Tage fand ich einen Artikel im Blog von Joep Driessen, einem Tierarzt und Milchvieh-Berater aus Holland. Man habe ein Survey erstellt und kam zu dem Ergebnis, dass die Hälfte der Milchkühe in Europa kein qualitativ gutes Trinkwasser zur Verfügung haben. Ich war darüber einigermaßen schockiert und brachte das auch in einen Tweet zum Ausdruck, wofür ich direkt von einem Landwirt auf den Deckel bekam.

Wie ich sowas denn twittern könne. Und überhaupt wüssten ja immer alle alles besser als die Landwirte selbst. An nächsten Tag folgte dann noch der Hinweis, ich solle mir doch mal Betriebe in echt anschauen. Leider ging das alles bemerkenswert konsequent an allem vorbei, was man wirklich hätte kritisieren können.

Über ein Survey – also eine Zustandserhebung – zu berichten ohne es zur Verfügung zu stellen, ist schon mal ein Minuspunkt. Vielleicht ist es ja methodisch unsauber. Wurden ausreichend Betriebe besucht? Was sind die Gründe für die Problematik einer unzureichenden Versorgung mit sauberem Wasser? Überforderung, mangelnde Kenntnisse oder wissen die Landwirte um die Problematik, können aber wichtige Investitionen nicht aufbringen? Wir reden hier über Europa, da ist gerade im Osten noch einiges im Argen. Und letztlich kann man ja auch mal darüber nachdenken, in wie weit Driessen selbst als Berater mit eigener Firma an der Lösung des Problems interessiert ist. Das muss nichts schlechtes heißen, es im Hinterkopf zu behalten kann aber auch nicht schaden.

Was uns direkt zum nächsten Problem bringt: dem Hinweis, dass ich mir doch mal einige Betriebe anschauen solle. Habe ich schon gemacht. Ich weiß, was “best practice” in der modernen Milchvieh-Haltung bedeutet und habe das auch schon oft inklusive wissenschaftlichem Hintergrund hier im Blog erläutert. Aber was sagt das jetzt aus? Genau das, allerdings auch nix anderes. Ich kann mit diesem Wissen nichts darüber aussagen wie verbreitet best practice-Betriebe tatsächlich sind.

Anderes Beispiel: Ich berichtete hier auch schon öfter über Pododermatitis-Problematik beim Geflügel. Ich kenne top Mastdurchgänge, in denen alle Stichproben-Tiere perfekte Fußballen hatten, ich kenne aber auch das Gegenteil. Ich weiß, dass sich diese Problematik durch ein gutes Management von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und gelegentliches Nachstreuen feuchter Stellen gut in den Griff bekommen lässt. All dieses Wissen hilft mir aber exakt null bei der Beurteilung, ob die Pododermatitis-Problematik jetzt der Normalfall, die Ausnahme oder irgendwas dazwischen ist. Dafür brauch ich Studien, Erhebungen etc. Mit rührigen Geschichten mache ich mich dagegen hart zum Löffel.

Genauso verhält es sich bei dem von Driessen erwähnten Zustandsbericht. Wie gesagt, es gibt da einiges zu kritisieren, aber dann bitte auch auf wissenschaftlichem Niveau und nicht mit dem Hinweis, dass das gar nicht stimmen kann, weil man ja selber ein paar tolle Betriebe kennt oder – als Landwirt – alles richtig mache. Das kann alles sein, aber das sind eben nur Anekdoten – die freuen vielleicht die Landwirte, als Wissenschaftsblogger fliegt mir eine darauf basierende Argumentation allerdings völlig zurecht gleichermaßen in der Wissenchaft allgemein wie auch der Agrarwissenschaft im Besonderen in Windeseile um die Ohren.

Ob ich noch eine Einschätzung schreiben werde, weiß ich noch nicht. Ich muss ja erst mal Daten zusammentragen. Wer mir dabei helfen möchte, kann das natürlich gerne tun – auf Bekundungen bzgl. der eigenen Geilheit und Kompetenz bitte ich zu verzichten.


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Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

1 Kommentar

  1. I,p. ‘Geilheit und Kompetenz’ kann der Schreiber dieser Zeilen nicht aushelfen, außer vielleicht anzumerken, dass eine Behauptung über eine Datenlage vorliegt, die nicht festgestellt (“gemessen”) worden scheint.
    Dass Ablehnen derartiger Behauptung oder Nachricht nicht hilfreich sein muss und in etwa einer hypothetisierten Frage entspricht, in etwa einem ‘Schlagen Sie Ihre Frau immer noch?’

    Netter, lockerer Tonfall btw,
    MFG
    Dr. W

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