Tierhaltung der Zukunft – wir werden alle sterben

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Die WELT hat eine Studie gefunden, in der Wissenschaftler einen massiven Anstieg des Antibiotika-Verbrauches in der Tierhaltung prognostizieren. Leider ist die Studie nicht frei zugänglich, ich muss also mit dem arbeiten, was ich im Abstract finde. Das ist nicht viel, reicht mir aber aus, um spontan zu notieren, was mich stört.

Das beginnt bei den Jahreszahlen 2010 und 2030. Das eine war schon, das andere noch nicht, was zu einer gewissen Unflexibilitä führt. Das wird spätestens dann zu einem Problem, wenn wir uns die Aufregung anschauen, die McDonalds erst kürzlich in den USA erzeugte. Dort kündigte das Unternehmen an, man wolle den Ausstieg von in der Humanmedizin verwendeten Antibiotika aus der Geflügelmast forcieren.

Kleiner Exkurs

Seit Antibiotika in den 1940er Jahren auch in der Tierhaltung aufkamen, um Krankheiten effektiver behandeln und kontrollieren zu können, bemerkte man recht schnell auch noch einen interessanten Nebeneffekt. Geflügel bspw. nahm bei stetiger Gabe kleiner Mengen AB zusätzlich noch effektiver zu. Das sparte Futterkosten, die – zumindest heute, vermute daher, dass es früher nicht anders war – den größten Teil der Kosten während der Mast ausmachen. 2006 war dann EU-weit Schicht im Schacht mit dieser Geschichte. Fütterungs-AB waren verboten. In anderen Ländernwie den USA ging die Party munter weiter.

Exkurs Ende

McDonalds gibt seinen Zulieferern bzw. den Produzenten zwei Jahre Zeit, um alle Antibiotika aus den Ställen zu verbannen, die auch in der Human-Medizin zum Einsatz kommen. Das gab bei den Produzenten natürlich mächtig Schluckauf, erfordert eine solche Maßnahme doch ein völlig neues Management, vielleicht sogar neue Rassen – die nächsten zwei Jahre dürften also teuer werden. Das war der erste Streich.

Eine Prognose für China halte ich ebenfalls für problematisch. 2013 bloggte ich über eine Studie, die sogenannte ARGs – antibiotic resistance genes – thematisierte. Untersucht wurden dafür chinesische Schweinefarmen. Was ich damals im Artikel vermutete, bestätigte dann Lederstrumpf in den Kommentaren. Die Produktion ist innerhalb einer sehr kurzen Zeit massiv angestiegen, die Betriebe bzw. deren Management hielten dem nicht stand. Die Vermutung liegt nahe, dass AB hier nicht nur Retter in der Not waren, weil man Tieren auch bei aller Vorsicht den Schnupfen nicht verbieten kann, sondern eben durchaus Fehler in der Tierhaltung auffangen mussten. Diese beiden Tabellen findet Ihr im FAO Bericht aus 2009 zu Tierhaltung und Konsum auf Seite 23 und 28.

Ein paar Daten zum Fleisch-Konsum
Credit: FAO 2009 Ein paar Daten zum Fleisch-Konsum
Fleisch-Produktion (man beachte China)
Credit: FAO 2009 Fleisch-Produktion (man beachte China)

In einem aktuelleren Artikel beim Modernfarmer zur Schweinefleisch-Produktion lernen wir, dass China mittlerweile die Nummer 1 der Welt ist. Zusätzlich hat sich auch die Struktur der Betriebe deutlich verändert.

Just as staggering as the rise of the Chinese pork industry is the speed at which it has embraced industrial pig farming. The number of hog farms dropped 70 percent between 1991 to 2009. Over the same period, the average hog farm grew from 945 head to 8,389 head.

So weit, so erwartbar – könnte man jetzt denken. Was ich in diesem Kontext wichtig finde zu erwähnen, ist Chinas Blick über den Tellerrand. Um sich bzgl. des Managements großer Betriebe auf einen aktuellen Stand zu bringen, informieren sie sich zunehmend in den USA – bei Schweinen ist es Smithfield, aber auch im Milchvieh-Bereich setzen sie auf US-Erfahrungen, indem sie deren Ställe importieren – inklusive Ernährungsberatern für die Kühe, die teils aus aller Welt kommen.

Moment, die USA waren doch die mit den Fütterungs-AB. Stimmt, allerdings ist die Kritik daran auch in den USA kein neues Phänomen – ebenso wie McDonalds nicht die erste Restaurant-Kette (Verzeihung) in den USA ist, die in diese Richtung geht. Aber manchmal braucht es eben den entscheidenen Anstoß. Vielleicht kann McD diesen liefern. Wenn es klappt, zieht dann vielleicht auch China nach.

Als ich mich gerade auf FB fragte, was so eine Hochrechnung in die Zukunft soll, schrieb mir Jörg Friedrich, selbst Philosoph, Folgendes:

Prognosen, die das menschliche Verhalten betreffen, werden oft in der Hoffnung gemacht, dass sie dazu beitragen, nicht einzutreffen.

Oha, echt gut. Nicht, dass ich ihm so eine Erkenntnis nicht zugetraut hätte, aber das ist schon ziemlich auf den Punkt, was mich bei einem Philosophen deutlich eher überrascht 😉

Fazit

Das waren sie jetzt also. Meine zwei Punkte, weshalb ich nicht glaube, dass die Studie laut Abstract ein wirklich realistisches Bild der Zukunft zeichnet. Dazu passiert mir gerade zu viel in der Tierhaltung von dem ich glaube, dass es bis 2030 noch einiges beeinflussen wird – auch hier vor der Haustür. Allerdings müssen gerade hier die Protagonisten dafür dann auch mal an einem Strang ziehen und sich nicht nur in der Nische gegenseitig auf den Schwanz treten – Ihr wisst, was ich meine. Ich halte von Tierwohl-Konzepten wie dem Privathof-Geflügel durchaus viel, allerdings schießen da gerade so viele Alternativen hoch, die sich allesamt so weit voneinander unterscheiden wie ein Zäpfen aus einem Hintern ragt – nämlich gar nicht. Das ist großer Unfug.

Wir sollten darüber hinaus auch nicht vergessen, dass es da noch andere Länder gibt, die aufstreben oder das vielleicht bald tun werden. Wir verfügen über genügend Wissen, um selbst in der hintersten Ecke des Planeten einigermaßen effizient Landwirtschaft betreiben zu können. Um zu vermeiden, dass solche Länder ähnlich wie China in die Management-Falle tappen, braucht es kompetente Hilfe vor Ort.

So, das ergibt für gerade alles sehr viel Sinn. Falls ich damit alleine sein sollte, sagt Bescheid 😉


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Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

11 Kommentare

  1. Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.
    (Wer das zuerst gesagt hat, last sich nicht mit Sicherheit sagen, passt hier aber wieder mal.)

  2. Nabend Ihr beiden, Mona und Christian,

    es stimmt natürlich, dass Prognosen schwierig sind. Mein Punkt ist allerdings, dass ich präzise darlegen kann, was in den USA und China zur Reduktion unternommen wird. Das heißt, ich WEISS, dass eine simple Hochrechnung hier nicht funktioniert. Das brauche ich gar nicht abzuwarten.

  3. Morgen Sören,
    nachdem in der Online-Ausgabe der “Welt” kürzlich von der “Paradies-Diät” die Rede war – also rohe vegane Kost als Mittel gegen alles- wundert mich nicht, dass sie eine Studie einbringen, die gerade ins Programm passt, auch wenn sie noch so schlecht ist. Die sollten vorher jemanden fragen, der sich auskennt.
    Zum Thema: Das man vielerorts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt lässt hoffen. Das Problem an sich ist trotzdem groß.

    • Moin Andreas,

      Du hast vollkommen recht. Das Problem ist in der Tat groß. Wie ich im Text andeutete, sehe ich zwei große Probleme: steigender Wohlstand in bisher armen Ländern, deren Nachfrage nach Fleisch steigt, die Landwirte dieser Nachfrage aber nicht gewachsen sind. Das andere ist der Bereich der Kleinstbauern, auch dort mangelt es an Management-Fähigkeiten, was Krankheits-Ausbrüche begünstigt.

      Natürlich soll das von den ganz großen Fischen nicht ablenken. Sollte die Prognose tatsächlich eintreffen, kann das nur an strukturellen Problemen liegen. Wissen und Wille sind vorhanden.

  4. Schwellenländer wachsen mit Raten von 5% und mehr weil sie nicht auf eigene Erfahrungen bauen – Erfahrungen, die sie oft gar nicht haben – sondern indem sie erfolgreiche Modelle der Industrieländer übernehmen und dabei ausnutzen, dass sie selbst im Vergleich zu den Industrieländern noch Billiglohnländer sind. Meist werden nicht die allerneuesten, komplexeren und meist auch teureren Technologien übernommen sondern ältere, die sich schon bewährt haben. Dass China, Indien und bald einmal Afrika gleich mit grossräumigen Hygieneställen beginnen ist deshalb nicht anzunehmen. Vielmehr setzen sie Techniken ein, die sie selbst beherrschen können und die ihnen den grösstmöglichen Erfolg mit dem kleinstmöglichen Einsatz an Investition versprechen. Dass der Antibiotika-Einsatz in solchen sich gerade industrialiesierenden Ländern zunehmen wird, ist deshalb naheliegend – ausser es zeige sich, dass diese Antibiotika inzwischen an Wirksamkeit verloren haben.
    Die Environmental Kuznets curve postuliert folgenden Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschäden: Zuerst geht die wirtschaftliche Entwicklung auf Kosten der Umwelt, die Verschmutzung von Luft, Wasser und Erde nimmt stark zu (China ist ein gutes Beispiel), dann wenn sich ein gewisser Wohlstand eingestellt hat, werden die Schäden wieder repariert, die Emissionen reguliert und zurückgedrängt. China steht unmittelbar vor diesem letzten Schritt, Länder wie Indien und die subsaharischen Länder dagegen legen erst so richtig los. Dort werden wohl auch in naher Zukunft vermehrt Antibiotika in der Tiermast eingesetzt werden von Bauern, die gerade erst beginnen, Hochleistungslandwirtschaft zu betreiben.

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